ADAC-Motormagazin, September 2016
Rot-Sünder, Bürgersteig-Rowdies, Drängler: Nadien Freitag und Stefanie Gundlach verfolgen in Berlins Innenstadt Radfahrer auf Abwegen – zu deren eigenem Schutz.
Es ist ein schnelles Fahrrad, ohne Licht und Vorderbremse, mit dem sich der Mann auf dem Bürgersteig zwischen den Fußgängern hindurchdrängelt. „Einmal stehen bleiben“, ruft eine der Polizistinnen, während die andere den Weg versperrt. Doch er fährt einfach an ihnen vorbei. „Halten. Sofort.“ Er zögert und stoppt. „Was ist?“, brüllt der bullige Mann. Seine ganze Körpersprache signalisiert Ärger, der über die beiden Fahrrad-Polizistinnen hereinzubrechen droht.
Es ist ein Ärger, wie es ihn in Berlin mit Verkehrsteilnehmern häufiger gibt. Die Stadt wächst jährlich um circa 40 000 Einwohner. Doch die Infrastruktur kommt nicht nach. Die Zahl der Verkehrsunfälle steigt, und es sind vor allem die Radfahrer, die dabei am verletzlichsten sind. Bei 7 724 Unfällen mit Fahrradbeteiligung im vergangenen Jahr verunglückten 5 902 Fahrradfahrer, 675 erlitten schwere Verletzungen, zehn starben.
Und dennoch scheinen viele Radfahrer mit einer gewissen Berliner „Is mir egal“-Haltung durch die Stadt zu fahren. Diesen Eindruck bekommt man zumindest, wenn man Nadien Freitag, 37, und Stefanie Gundlach, 44, auf ihrer Streife begleitet. Die beiden gehören zur einzigen Fahrradstaffel der Berliner Polizei. Insgesamt 20 Polizisten fahren bei jedem Wetter durch ihr Revier Berlin-Mitte. Für die Touristenattraktionen dort haben die beiden Frauen keinen Blick. Sie sehen Radfahrer, die vor der britischen Botschaft die rote Ampel ignorieren, und solche, die in der Bellevuestraße zu Dutzenden auf dem Bürgersteig fahren.
Oft passiert alles gleichzeitig, und sie müssen sich entscheiden: Wen halten sie an und wen lassen sie ziehen? Dann wieder ist es ihre pure Anwesenheit, die abschreckt. „Wir sind nicht dazu da, Fahrradfahrer zu schikanieren, sondern um den nächsten schlimmen Unfall mit Fahrradbeteiligung zu verhindern“, sagt Freitag.
Freundlich und geduldig erklären sie und ihre Partnerin jedem, was er falsch gemacht hat und warum das gefährlich sein könnte. „Ich hoffe einfach, dass es hängen bleibt. Und das Ordnungsgeld.“
Rote Ampel: Zwischen 60 und 180 Euro. Mit dem Fahrrad auf dem Bürgersteig: von 20 bis 35 Euro. Handy am Lenker: 25 Euro. Eine Sisyphusarbeit. Laut Fahrradstaffel-Leiter Sascha Ziegler ist die Anzahl der Verstöße „vehement hoch“. Dennoch seien „die Unfälle mit Fahrradbezug in unserem Bereich seit unserer Gründung 2014 um 44 Prozent zurückgegangen“, sagt er. Ein Erfolg. Immerhin.
„Mann, nun hör doch mal zu“, sagt Freitag zu dem bulligen Radler, der voller Wut sein Fahrrad auf den Boden geschleudert hat. Doch die beiden Frauen zeigen keine Angst. Sie beruhigen ihn.
„Ich wusste sofort, dass er nicht zuschlagen wird“, sagt Gundlach, die sich auf ihre jahrelangen Streifendienst-Erfahrungen in Berlins schwierigsten Bezirken verlassen kann. Am Ende entschuldigt sich der Mann und schiebt sein Rad vorsichtig zwischen den Fußgängern hindurch. In der Hand hält er den Zettel mit dem Ordnungsgeld und der Anordnung, Bremse und Licht nachzurüsten.
Mal sehen, ob er sich daran hält – wenigstens bis zur nächsten Straßenecke…
Von: Karl Grünberg, erschienen im ADAC-Motormagazin im September 2016