Greenpeace-Magazin, April 2018
Sven de Vries, 36, ist Schäfer mit eigenem Twitter-Account – und einem harten Leben.
Eigentlich sollte ich jetzt wohl erzählen, was für einen tollen Beruf ich habe, wie viel Spaß es macht, mit meinen Mädels in der Natur zu sein, und warum ich dieses Leben lebe, das manchmal hart ist und immer schön. Doch es geht einfach nicht mehr!
Politiker, Mitarbeiter der Umweltbehörden, Verantwortliche aus den Ministerien, alle sagen uns, wie wichtig und gut es ist, dass wir Wanderschäfer unterwegs sind. Warum? Weil es ohne uns noch weniger Insekten und Pflanzen gäbe. Stichwort Biodiversität und Landschaftspflege. Doch wenn es darum geht, uns zu helfen, sind plötzlich alle nicht mehr zu erreichen.
Aber der Reihe nach: Ich bin 36 Jahre alt und Wanderschäfer auf der Schwäbischen Alb. Zurzeit habe ich 650 Mutterschafe, mit denen ich ab Frühling von einer Wacholderwiese zur nächsten ziehe. Meine Schafe sind für mich „meine Mädels“. Ich bin für sie verantwortlich. Wenn sie krank sind, pflege ich sie. Viele kenne ich „persönlich“ und kann sie voneinander unterscheiden. Ich mag, dass sie so sanft sind, sich liebevoll um ihren Nachwuchs kümmern. Gleichzeitig muss ich unter den Lämmern, wenn sie ein Jahr alt sind, diejenigen auswählen, die ich zum Schlachter bringe. Ich mag das überhaupt nicht.
Jedes Jahr beweide ich circa 150 Hektar Fläche. Das sind Wiesen, die überall auf der Schwäbischen Alb verteilt sind. Dazwischen liegen von Land- und Forstwirtschaft intensiv genutzte Felder und Wälder oder Dörfer. Jedes Mal, wenn wir den Standort wechseln, tragen meine Schafe die Samen, Pollen und Insekten von einer Wiese zur nächsten. Sie sind eine Diversitätsbrücke zwischen den einzelnen Flächen. Erst dadurch gibt es hier auf den Magerwiesen diese wahnsinnige Artenvielfalt. Es sind so viele Insekten, dass ich mir im Sommer einen Mundschutz anziehen muss. Und erst die vielen Schmetterlinge, woanders gibt es das kaum noch! Darauf bin ich stolz.
All der Liebe zum Trotz – ich kann nicht mehr und eigentlich will ich auch aufhören. Letzten Sommer hatte ich einen Burn-out. Trotzdem musste ich weitermachen, denn es gibt niemanden, der mich ersetzen kann. Selbst für Helfer, die mir ein bisschen Pause ermöglichen würden, fehlt mir das Geld. Zwei freie Tage, so viel konnte ich mir seit dem Burn-out freischaufeln. Ich arbeite sieben Tage die Woche von morgens bis abends. Kein Urlaub, keine Zeit für meine Freunde. An eine Familie ist gar nicht zu denken. 1200 Euro netto im Monat, so viel bleibt mir.
Mit Schafswolle verdiene ich nichts. Was die mir einbringt, deckt nur die Kosten der Scherer und Helfer. Vierzig Prozent meiner Einnahmen kommen vom Lammfleisch, sechzig Prozent von EU-Subventionen. Das Problem: Die Regelungen sind für Bauern und deren quadratische Felder gemacht. Auf einer Wanderschäferwiese gibt es nun mal Büsche und Gehölz. Doch wenn davon zu viel da ist, gilt sie nicht mehr als landwirtschaftliche Fläche, und ich muss Strafe zahlen. Beim letzten Mal kosteten mich ein paar Bäumchen 12.000 Euro. Zum Glück hatte ich noch Rücklagen. Andere Schäfer haben die nicht.
Auch deshalb habe ich eine Online-Petition gestartet und mit anderen Schäfern im März eine Demo vor dem Bundeslandwirtschaftsministerium in Berlin organisiert. Da haben wir auch vierzig Schafe mit in die große Stadt gebracht – hoffentlich hilft es, wenn die Verantwortlichen sehen, worum es uns geht. Wir fordern eine Weidetierprämie, 38 Euro pro Schaf und Jahr. Das würde uns besser absichern.
Um den Menschen mein Schäferleben zu zeigen, twittere ich und bin auf Facebook. Ich poste Fotos und Videos von Geburten, der Wanderschaft, den drei Hunden, von allem. Mir gefällt die Vorstellung, dass ich damit einem Menschen im Büro am anderen Ende des Landes einen schönen Moment ermögliche. Was ich weniger mag, sind die krassen Diskussionen und Anfeindungen, denen ich manchmal ausgesetzt bin. Einige Veganer nennen mich Tiermörder und streiten mir jedes Gefühl für meine Schafe ab. Das erste mag ja stimmen, das zweite ist absurd.
Aufgezeichnet von: Karl Grünberg, erschienen im Greenpeace Magazin April 2018