tip-Berliner Stadtmagazin, Juni 2014

14-Stunden-Tage, Drohungen, Schläge – und oft genug kein Geld: Illegale Einwanderer werden auf dem Arbeitsmarkt gnadenlos ausgebeutet. Vom Leben in der Schattenwirtschaft.

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Dreimal hat Marius auf kleinen Baustellen malocht. Schwarz, 14-Stunden-Tage. Das war, bevor Anfang 2014 die Arbeitnehmerfreizügigkeit für Rumänen wie ihn in Kraft trat. Als Schwarzarbeiter bekam er immer wieder Ärger: zu wenig Lohn, oder gar keiner. Drohungen, Einschüchterungen, Schläge. Marius sagt: „Ich habe immer gedacht, beim nächsten Mal wird es klappen. Aber ich war dumm, den Leuten zu vertrauen. Das ist eine richtige Mafia.“

Es ist eine Geschichte, wie es sie in Berlin, in Deutschland, zuhauf gibt. Und wie sie gerade erst wieder durch die Flüchtlinge am Kreuzberger Oranienplatz in den Fokus gerückt ist: von Migranten ohne Arbeitserlaubnis, die bei ihren illegalen Jobs der Schattenwirtschaft allzu oft wehrlos ausgeliefert sind. Der Migrationsfortscher Klaus J. Bade sagt: „Zu jedem illegalen Beschäftigten gehört immer auch ein illegaler Arbeitgeber, sodass diese Leute in vielen Bereichen der Wirtschaft längst eine wichtige Position eingenommen haben.“

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Abrissarbeiten in Berlin, ein schlechtbezahlter Job, den nur macht, wer nicht anders kann.

Und die Schattenwirtschaft blüht, überall. In Restaurants, in Pflegeheimen, auf Großbaustellen, in Wohnungsbordellen. Im Apartment der netten Bürokollegin, in der Praxis des Hausarztes. Die Beratungsstelle für mobile Beschäftigte vom Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) in Berlin berichtet zum Beispiel von tausenden Pflegekräften aus Osteuropa, die über Agenturen vermittelt und dann in deutschen Familien scheinselbstständig eingesetzt werden. Vielfach arbeiten die Frauen rund um die Uhr, ohne einen freien Tag, zu einem Lohn von 800 bis 1200 Euro. Beim Verein Ban Ying, der sich gegen Menschenhandel einsetzt, erfährt man von Frauen aus Fernost, die ein Arbeitsvisum als Spezialitätenköche bekommen, um dann unter sklavenähnlichen Bedingungen in asiatischen Restaurants zu arbeiten.

Oft aber hat keine deutsche Behörde diese Beschäftigten jemals zu Gesicht bekommen. So ist das zum Beispiel bei Maria – Kolumbianerin, Mitte 50 – die seit acht Jahren in Berlin schwarz putzt. „Angst habe ich, wenn es an der Tür klingelt, und ich keinen Besuch erwarte“, erzählt sie. „Dann mache ich nicht auf.“ Und Maria sagt: „Ich bin ein Profi. Wenn ich nicht gesehen werden will, bin ich wie unsichtbar.“ Die Bremer Forscherin Dita Vogel schätzt, dass es zwischen 100.000 und 500.000 sogenannter Papierloser gibt. Bis zu 50.000 von ihnen sollen in Berlin leben.

Arbeiten Baustelle
Haussanierung, Symbolfoto

Doch auch wenn sie illegal in Deutschland sind, rechtlos sind sie nicht. Einer, der geprellten Papierlosen hilft, ist der Berliner Rechtsanwalt Jonathan Burmeister vom „Arbeitskreis undokumentierte Arbeit“ des DGB. Er erklärt, dass Subunternehmen in dem Betrugssystem eine wichtige Rolle spielen. Sie liefern die Leute für die Drecksarbeit. Zum Beispiel beim Häuserabriss, wo ein Subunternehmer, um den Auftrag zu bekommen, die Kosten mithilfe eines Mittelsmanns senken könne, wie Burmeister erzählt. Der Mittelsmann wiederum würde Schwarzarbeiter anwerben, die dann immer wieder um ihren kargen Lohn gebracht und weggejagt würden.

Das alles ist keineswegs ein Geheimnis: „Wenn neue Leute kurz auftauchen, um solche Arbeiten zu erledigen, dann wieder verschwinden, ist dass doch offensichtlich“, sagt Anwalt Burmeister. Erst vorletzte Woche landete der Zoll mit Razzien in Berlin und München laut „Süddeutscher Zeitung“ einen Schlag gegen ein europaweit operierendes Schwarzarbeit-Netzwerk, deren Mitglieder vom Balkan stammen sollen. Mafiösen Clan-Strukturen erwirtschaften Millionen. Die anderen aber, die Kleinen, die auf diese Jobs in der Schattenwirtschaft angewiesen sind, werden immer die Verlierer sein.

Marius bereut längst, seine Heimat verlasse zu haben: „Ich dachte in Deutschland wird alles besser, aber für Leute wie mich gibt es nur schlechte Arbeit. “ Auch Maria, die kolumbianische Putzfrau, träumt von einem normalen Leben. „Die Leute für die ich putze, sind okay, aber dennoch bin ich von ihnen abhängig, weil alles illegal ist. Ich möchte normal arbeiten, wie alle anderen auch, aber das geht nicht“, sagt sie. „Keiner hilft uns, weil es uns gar nicht geben darf. Ohne uns geht es aber auch nicht.“

Text und Foto: Karl Grünberg, Text erschienen im tip – Berliner Stadtmagazin, Juni 2014